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Analphabetismus in Deutschland – das kann doch nicht sein!

Am 8. September ist Weltalphabetisierungstag. Wer da nur an Menschen in sogenannten Entwicklungsländern denkt, irrt sich. Allein in Deutschland gibt es schätzungsweise 7,5 Millionen Menschen, die nicht so lesen und schreiben können, dass sie schriftsprachlichen Anforderungen des Alltags gewachsen sind.
Sie sind oft schon in der Schule wegen ihrer unzureichenden Lese- und Schreibfähigkeiten aufgefallen sind. Schulförderunterricht oder Nachhilfe blieben erfolglos, weil ihre grundlegenden Schwierigkeiten nicht erkannt oder behandelt wurden. Daher fordert der Fachverband für integrative Lerntherapie e. V. (FiL), dass Lehrer bereits in ihrer Ausbildung lernen sollten, woran sie eine Lese- /Rechtschreibschwäche erkennen können, welche schulischen Fördermöglichkeiten es gibt und wann eine außerschulische Lerntherapie notwendig wird. Die Schulen sollten sich vermehrt für therapeutische Angebote öffnen, damit sie Kindern mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben frühzeitig helfen können, und diese erst gar nicht in den Teufelskreis von Misserfolg und Versagen geraten.

Als Schüler wurden Analphabeten oft bis zum Schulabschluss einfach nur „mitgezogen“, ein Weg in den Beruf war nicht geebnet. Die Betroffenen haben große Probleme, einzelne Wörter und Texte richtig zu schreiben oder zu lesen. Das Ausfüllen eines Formulars oder Vertrages, das Recherchieren im Internet, sind meist nicht ohne fremde Hilfe zu leisten. „Lehrkräfte sind oft selbst ratlos, was sie tun sollen“, so Maria von Orloff , Vorstandsvorsitzende des FiL und viele Jahre selbst in der Alphabetisierung tätig. „Sie würden gern helfen, verfügen aber oft nicht über genügend Kenntnisse über die spezielle Problematik, oder es mangelt an personellen Ressourcen, um die Kinder angemessen zu fördern.“

Eigentlich müsste der Weltalphabetisierungstag in „Tag der Grundbildung“ umbenannt werden, denn auch beim Rechnen haben schätzungsweise fünf bis sieben Prozent der Erwachsenen in Deutschland große Probleme. Den Betroffenen fällt der Umgang mit Zahlen schwer, ihnen fehlt das schnelle und sichere Beherrschen der Grundrechenarten, so dass alltägliche Verrichtungen wie Einkaufen oder Bankgeschäfte zur großen Herausforderung werden. Um einen Handy-Vertrag abzuschließen, den Lohnsteuerjahresausgleich auszufüllen oder ein Versicherungsangebot zu prüfen, müssen sie auf die Unterstützung eines Familienmitglieds oder guten Freundes zurückgreifen.

Der FiL fordert gezieltere und wirksamere bildungspolitische Entscheidungen. Nur wenn die Problematik frühzeitig erkannt wird und eine angemessene Förderung erfolgt, haben die Kinder und Jugendlichen von heute die Chance, als lese-, schreib- und rechenkundige Erwachsene am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.