Inklusion Ja! – Aber nicht für Kinder mit Lernstörungen?
Kinder mit Lese-Rechtschreibstörungen (LRS) und/oder Rechenstörungen bleiben bei den derzeitigen Anstrengungen um „inklusive Schulen” völlig unbeachtet! Diese Befürchtung äußern Vertreter des Fachverbands für integrative Lerntherapie. Bei diese Lernstörungen besteht kein „sonderpädagogischer Förderbedarf” im klassischen Sinne und damit nach derzeitiger Auffassung auch kein Anspruch auf Inklusion. „Obwohl es für LRS und seltener noch für Rechenstörungen in einigen Bundesländern durchaus Richtlinien gibt“, ergänzt Marlies Lipka, Geschäftsführerin des FiL und fährt fort: „Während von einem Kind im Rollstuhl niemand die Teilnahme an einem 100-Meter-Lauf verlangen würde, wird Lesen und Schreiben von Kindern mit erheblichen Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb täglich verlangt“, dieses krasse Beispiel wählt Lipka um die Ungerechtigkeit für Kinder mit solchen Teilleistungsstörungen zu verdeutlichen. Diese müssen aktuell meist ohne Anspruch auf Unterstützung oder gar Förderung ihren Schulalltag meistern.
Hintergrund: Inklusion wird von der „Aktion Mensch“ folgendermaßen definiert: „Jeder Mensch erhält die Möglichkeit, sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen – und zwar von Anfang an und unabhängig von individuellen Fähigkeiten, ethnischer wie sozialer Herkunft, Geschlecht oder Alter.” Kinder mit und ohne Behinderung sollen ganz selbstverständlich zusammen in Regelschulen lernen dürfen. Der Anspruch auf Unterstützung für behinderte Kinder wird über den „sonderpädagogischer Förderbedarf” nach Art der Behinderung geregelt. Das allein ist kein Novum, aber das behinderte Kinder durch die UN-Behindertenkonvention einen Rechtsanspruch auf einen Besuch einer Regelschule haben, ist neu und durchaus begrüßenswert. Aber ist das schon Inklusion?
Wenn mit „jeder Mensch“ auch „jedes Kind“ gemeint ist, bedingt dies einen Förderanspruch für jedes Kind allein aufgrund der Frage „Was braucht das Kind jetzt?“. Danach kann die spezifische sonderpädagogische Förderung für ein Kind in einer Regelschule oder einer Sonderschule das Beste sein, vielleicht auch zeitlich begrenzt. Dazu würden aber genauso die Sprachförderung für Nicht-Muttersprachler, die Zuwendung für ein ängstliches Kind oder die individuelle Förderung für ein Kind mit Lernstörungen in oder außerhalb der Schule zählen. Das erfordert auch die selbst-verständliche Zusammenarbeit der entsprechenden Professionen auf Augenhöhe wie Lehrkräfte, Sonderpädagogen, Erzieher oder Lerntherapeuten, wenn schon nicht an einer Schule, dann zumindest in Form eines funktionierenden Netzwerks. Der Fachverband für integrative Lerntherapie e.V. würde diese Zusammenarbeit sehr begrüßen. Inklusion so verstanden bedeutet, alle Kinder entsprechend ihren Fähigkeiten und Voraussetzungen zu fördern.