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Berufsbild

Lerntherapeut*innen führen Lerntherapien für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bei Lernstörungen wie Lese-Recht- schreib- und/oder Rechenstörungen durch. Dazu diagnostizieren, analysieren und bewerten sie die individuellen Lernstrukturen. Sie gestalten Lernmöglichkeiten und -angebote so, dass sich die Betroffenen ausprobieren, ihre Stärken entdecken, Kompetenzen entfalten und ihre Lernschwierigkeiten überwinden können.

1. Entstehung der Berufsbezeichnung

Schon vor über 100 Jahren wurden in der Fachliteratur Kinder beschrieben, die auffallende Schwierigkeiten beim Erwerb des Lesens und Schreibens zeigten. In den 1970er Jahren führten Wissenschaftler in Deutschland eine hitzige Debatte darüber, ob es Legasthenie überhaupt gebe. Gleichzeitig wurden in einigen Bundesländern erste Legasthenie-Erlasse verabschiedet, die die betroffenen Kinder von der Deutschnote befreite. Mit der Notenbefreiung war jedoch keine adäquate Förderung verbunden. In den 1980er Jahren entstanden erste Förderkonzepte und an der Universität Essen legten Prof. Dr. Dieter Betz und Dr. Helga Breuninger den Grundstein für die integrative Lerntherapie. Seit der Gründung des Fachverbandes für integrative Lerntherapie e.V. hat sich der Begriff Lerntherapie und damit auch die Berufsbezeichnung Lerntherapeut*in mehr und mehr etabliert.

 

2. Aufgaben und Tätigkeiten

Lerntherapeut*innen führen Lerntherapien für Kinder, Jugend- liche und Erwachsene bei Lernstörungen wie Lese-Recht- schreib- und/oder Rechenstörungen durch.
Dazu diagnostizieren, analysieren und bewerten sie die individuellen Lernstrukturen. Gemeinsam mit allen Beteiligten erfassen sie die Ressourcen, den Lernbedarf, Ziele und Erwartungen und leiten davon einen Therapieplan ab. Sie begleiten Kinder und Jugendliche dabei, Lesen, Schreiben und/oder Rechnen trotz ihrer Schwierigkeiten so weit zu lernen, dass sie im schulischen Lernen bestehen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Sie gestalten Lernmöglichkeiten und -angebote so, dass sich die Betroffenen ausprobieren, ihre Stärken entdecken, Kompetenzen entfalten und ihre Lernschwierigkeiten überwinden können. Dazu vermitteln Lerntherapeut*innen Wissen, trainieren mit den Kindern neue Lernstrategien und ein erfolgreiches Lernverhalten, stellen dabei die Stabilisierung der Persönlichkeit in den Mittelpunkt und beziehen das soziale Umfeld (in der Regel Eltern und Lehrkräfte) in den Therapie- und Beratungsprozess mit ein.

 

2.1 Analyse und Diagnostik

Allein oder in Kooperation mit anderen Fachkräften diagno- stizieren und analysieren Lerntherapeut*innen die Symptome und Erscheinungsformen der Lernstörungen. Dabei werden Daten zur Vorgeschichte und zur aktuellen Situation erhoben, die Auswertung standardisierter und informeller Testverfahren sowie strukturierter Beobachtungen und Befragungen zusammengefasst und daraus die entsprechenden lerntherapeutischen Fördermaßnahmen abgeleitet. Integrative Lerntherapeut*innen sind in der Lage, sowohl eine quantitative als auch qualitative Kompetenzanalyse durchzuführen.

 

2.2 Therapie

Ausgehend von Anamnese und Diagnostik erarbeiten Lerntherapeut*innen einen individuellen Therapieplan, in dem die Ressourcen und der individuelle Lernbedarf beschrieben sind und die Erwartungen und Ziele von Kindern, Eltern und

Lehrern sowie Aussagen zur Umsetzung benannt werden. Sie planen das Vorgehen und die Lernschritte so, dass die Kinder neue Zugänge zur Schriftsprache und/oder Mathematik finden und von Anfang an Erfolg haben. Die Kinder entdecken, wie sie am besten lernen können und wenden neue Lernstrategien bewusst an. Lerntherapeut*innen verfügen über ein Repertoire an fachdidaktischen und therapeutischen Methoden, Interventionen und Konzepten, die sie individuell angepasst einsetzen. Darüber hinaus können sie zu jedem Zeitpunkt den Therapiestand einschätzen und das therapeutische Vorgehen begründen.

Sie dokumentieren förderdiagnostische Beobachtungen, Analysen und Kontrollen sowie den individuellen Entwicklungsprozess und leiten daraus entsprechende Maßnahmen ab.
Die Lerntherapie endet, wenn die definierten Ziele erreicht sind, die Kinder wieder erfolgreich am schulischen Lernen teilhaben und die Verantwortung für ihr Lernen selbst übernehmen können. Die Veränderungen zeigen sich in der Verbesserung der individuellen Leistungen und in der psychischen Stabilisierung und sozialen Integration der Kinder.

 

2.3 Dokumentation und Administration

Lerntherapeut*innen führen Klientenakten, in denen Anamnese, Diagnose, Therapieplan, -prozess und Evaluation nach den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes dokumentiert sind. Gegenüber den Kostenträgern (Jugendhilfe) kommen sie der vereinbarten und/oder vertraglich geregelten Berichterstattung zur Entwicklung der Kinder und Jugendlichen nach.

Lerntherapeut*innen in eigener Praxis obliegt zudem die Praxisleitung. Sie sind für die betriebswirtschaftliche Führung der Praxis verantwortlich und regeln die Praxisabläufe mit Terminvergabe, Vertragsgestaltung, Verwaltung, Außendarstellung, ggf. Mitarbeiterführung usw.

 

2.4 Arbeit mit dem Umfeld

Lerntherapeut*innen arbeiten in guter Vernetzung mit anderen an der lerntherapeutischen Förderung beteiligten Berufsgruppen wie z. B. Lehrern, Kinderärzten, Kinder- und Jugendpsychiatern, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten, Schulpsychologen, Ergotherapeuten, Logopäden, Erziehern. Die Eltern der Kinder sind in den meisten Fällen die Vertragspartner der Lerntherapeut*innen. Ihnen gegenüber besteht eine Auskunftspflicht. In regelmäßigen Beratungsgesprächen mit den Eltern werden Auftrag und Zielvereinbarungen reflektiert, angepasst und geprüft, ob weitere Maßnahmen neben der Lerntherapie erforderlich sind.

3 Arbeitsbereiche

 

3.1 Lerntherapeutische Praxen

Lerntherapeut*innen arbeiten in der Regel als selbstständig Tätige in einer eigenen Praxis, als freie Mitarbeiter (Honorarkräfte) oder als Angestellte in lerntherapeutischen Praxen.

 

3.2 Andere Arbeitsorte

Lerntherapeut*innen können auch in Beratungsstellen, Kinderheimen und -kliniken oder in Schulen tätig sein.

 

4 Arbeitsbedingungen

 

4.1 Umgang mit betroffenen Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen

Lerntherapien finden in der Regel im Einzelsetting statt, nur in begründeten Fällen in Kleingruppen. Sie werden in speziell eingerichteten Praxisräumen durchgeführt.

 

4.2 Gespräche und Beratung mit Eltern, Lehrkräften und anderen Therapeuten

Gespräche mit Eltern werden in der Regel ebenfalls in den Praxisräumen geführt, in Einzelfällen können Hausbesuche sinnvoll sein. Die Kontakte mit den Lehrkräften und anderen Therapeuten (Ergo-/Sprachtherapie, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie) oder Kinderärzten können sowohl in der jeweiligen Praxis, per Telefon oder Email stattfinden.

 

4.3 Kooperation mit Kostenträgern

Lerntherapien können nach den Vorgaben des SGB VIII, § 35a von den öffentlichen Trägern der Jugendhilfe finanziert werden. In diesen Fällen gehört die Kooperation mit dem zuständigen Jugend- oder Sozialamt zu den Aufgaben des/der Lerntherapeut*in. Der/Die Lerntherapeut*in kann dann in das Hilfeplanverfahren einbezogen und verpflichtet werden, regelmäßige Entwicklungsberichte einzureichen und an den Hilfeplangesprächen teilzunehmen. Diese finden entweder in der Praxis, im Jugendamt oder in der Schule des Kindes statt. Näheres wird ggf. in einem Leistungsvertrag geregelt.

Die Zusammenarbeit mit anderen Kostenträgern (z. B. Stif- tungen, Fördervereine, Wohlfahrtsverbände, Arbeitsagentur, Rentenversicherung) werden im Einzelfall mit dem jeweiligen Kostenträger abgestimmt.

 

4.4 Arbeiten allein oder im Team

Folgende Formen sind möglich:

  • allein in eigener Praxis
  • als Praxisleitung mit einer oder mehreren freien Mitarbeiterinnen
  • als Praxisleitung mit angestellten Mitarbeiterinnen
  • als freie oder angestellte Mitarbeiterin in einer Einrichtung

Immer arbeitet der/die Lerntherapeut*in in Kooperation zu einem multiprofessionellen Netzwerk.

Die Praxisleitung muss über gute Kenntnisse in der Führung von Mitarbeiterinnen, der Personalentwicklung sowie Steuer- und Versicherungsrecht verfügen.

 

5. Verdienst, Einkommen

Als Grundlage für ein angemessenes und ortsübliches Honorar für die lerntherapeutische Tätigkeit kann die Eingruppierung nach TVöD-L betrachtet werden. Je nach Grundqualifikation und unter Beachtung der Zusatzqualifikation liegt diese zwischen den Entgeltgruppen E10 und E15 (je nach akademischem Abschluss).

Die Berechnung eines Honorars beruht auf einer betriebswirtschaftlichen Kostenkalkulation.

 

6. Zugang zur Tätigkeit

 

6.1 Zugangsqualifikation

In der Regel ist ein Hochschulabschluss mit pädagogisch-psychologischer Ausrichtung (Bachelor, Master, Diplom) oder eine therapeutische Berufsausbildung die Voraussetzung für die Weiterbildung Lerntherapie.

 

6.2 Kompetenzen

Zu den beruflichen Handlungskompetenzen gehören neben fundierten Fachkompetenzen im Bereich Lerntherapie auch Beziehungs- und Beratungskompetenzen (Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Empathie, Aufgeschlossenheit). Das Eingehen auf die besondere Lern- und Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen erfordert darüber hinaus ein hohes Maß an Belastbarkeit, Durchhaltevermögen, Geduld und Flexibilität.

Selbständige Lerntherapeut*innen benötigen zusätzlich Kompetenzen in Bereich Betriebswirtschaft und müssen unternehmerisch denken und handeln können.

 

6.3 Weiterbildung

Beim Beruf des/der Lerntherapeut*in handelt es sich prinzipiell um eine Zusatzqualifikation, die durch eine berufsbegleitende Weiterbildung oder ein berufsbegleitendes Studium (Bache- lor/Master) erworben werden kann.

 

6.3.1 Weiterbildungsinhalte

Theoretischer Teil:

  1. Pädagogik, Psychologie, medizinisch-therapeutische Nachbardisziplinen
  2. Fachdidaktik Deutsch
  3. Fachdidaktik Mathematik
  4. Betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen (fakultativ)

Praktischer Teil:

  1. Praxiserfahrungen
  2. Hospitationen
  3. Supervisionen und Intervision

 

6.3.2 Weiterbildungsbedingungen Zeitlicher Umfang

Weiterbildungsgang

  • Ca. 800 Unterrichtseinheiten für den Theorieteil
  • Ca. 600 Unterrichtseinheiten für den Praxisteil

 

Hochschulstudium

  • Bachelor (180 ECTS oder 5.400 Arbeitsstunden)
  • Master (60/120 ECTS oder 1.800/3.600 Arbeitsstunden)

 

Finanzieller Aufwand

Berufsbegleitende Weiterbildungen oder Weiterbildungsstudiengänge sind kostenpflichtig. Unter bestimmten Voraussetzungen können die Studiengebühren bezuschusst werden. Mögliche Kostenträger sind die Arbeitsagentur, Rentenversicherung, Berufsgenossenschaft. Darüber hinaus kann die Bildungsprämie beantragt werden. Dazu ist eine Beratung in einer entsprechenden Beratungsstelle (häufig Volkshochschulen) erforderlich.

 

Abschluss

  • Zertifizierung durch den Fachverband für integrative Lerntherapie e. V.: Integrative Lerntherapeutin FiL bzw. Integrativer Lerntherapeut FiL
  • Bachelor of Arts - Integrative Lerntherapie (B. A.)
  • Master of Arts - Integrative Lerntherapie (M. A.)

 

 

7. Berufstätigkeit und Perspektiven


7.1 Beschäftigungsverhältnis

Lerntherapeut*innen können als Angestellte zum Beispiel in Beratungsstellen, Kliniken, Schulen oder lerntherapeutischen Praxen arbeiten.

 

7.2 Selbstständige Tätigkeit

Der überwiegende Teil der Lerntherapeut*innen ist selbstän- dig tätig, entweder als Honorarkraft oder als Inhaberin einer eigenen Praxis.

 

7.3 Leitende Funktion mit Mitarbeitern

Als Inhaber*in einer Praxis obliegen dem/der Lerntherapeut*in die Aufgaben der fachlichen und betriebswirtschaftlichen Geschäfts- und Mitarbeiterführung.

 

7.4 Eigene Fortbildung und Supervision

Regelmäßige Fortbildung und Supervision sind für Lernthera- peutinnen selbstverständlich. Mit dem Titel Integrative Lerntherapeutin bzw. Integrativer Lerntherapeut verpflichten sie sich zu je 100 Stunden Fortbildung und Supervision in einem Zeitraum von vier Jahren.

 

7.5 Zuordnung Berufsbilder

Die Berufsbezeichnung „Lerntherapeut*in“ ist noch nicht gesetzlich verankert. Der Beruf kann zugeordnet werden zu:

  • Lehrerin, Förderlehrerin, Nachhilfelehrerin
  • Psychotherapeutin, Schulpsychologin
  • Ergotherapeutin, Logopädin Schulsozialarbeiterin, Famili- enhelferin, Familientherapeutin

Der Fachverband für integrative Lerntherapie e. V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, Qualitätsstandards für die Ausübung des Berufes zu etablieren.

 

7.6 Rechtsvorschriften

  • Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)
  • Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)
  • Sozialgesetzbuch, gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV)
  • Gesetze des Arbeitsrechts
  • Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister, Bundeszentralregistergesetz (BZRG)

 

7.7 Verbände und Organisationen:

  • Fachverband für integrative Lerntherapie e.V. (FiL)
  • Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPW)
  • Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL)
  • Berufsverband für Lerntherapeut*innen (BLT)
  • Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
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